Nach Berlin!
Alle Zeichen auf Sturm. Schon seit Tagen schmücken 90 Prozent aller Russen Autoantennen, Handtaschen und Sonnenbrillenbügel mit der schwarz-orangenen St.-Georgs-Schleife. (Georg war son oller Drachentöter.) Ein Teil der Bevölkerung hat nach den Feiern zum 1. Mai noch nicht ausgenüchtert, bereitet sich aber schon auf das nächste Großbesäufnis vor. Den Roten Platz darf seit einer Woche niemand mehr betreten und selbst an der versifften Pommesbude an der Ecke gibt es Siegesrabatt. Dann ist er endlich da: Der Tag des Sieges. 65 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges. Paradox aber wahr. Zuerst haben die Sowjets den Tag des Sieges gar nicht begangen, dann ein bisschen, dann ein bisschen mehr. Die diesjährige Siegesparade über den Roten Platz und dann durch die Stadt schlug alle bisherigen Rekorde.
Los gehts mit dem Aufmarsch auf dem Roten Platz - Angela Merkel geht zwei Schritte hinter dem Bärchen, so wird Präsident Medwedew von denen genannt, die ihn mögen. Merkel guckt ein bisschen verkniffen. Würde ich auch tun, wenn mir das bevor stünde, was ihr bevor steht. Allerlei Lamettahengste wandern herum, brüllen Befehle und ab und zu schreien alle zusammen "Hurra", was sich in etwas wie "Uahhhhhhh" anhört. Der Verteidigungsminister und der oberste Armeeoberst stehen in fahrenden Cabrios und kurven herum. Das soll wohl ein bisschen wie Cäsar aussehen, ist aber irgendwie lächerlich. 1. Weil Cäsar besser aussah, als der dickliche Verteidigungsminister. 2. Weil die Russen offensichtlich keine Luxuskarossen bauen. Sonst würden die beiden nicht in Autos rumstehen, die aussehen, wie aus dem Chicago der 60er Jahre. Dann sagt auch das Bärchen noch einmal Hurra, Angela guckt immer noch verkniffen und die ganze Parade setzt sich in Marsch.
Als erstes kommen die Flugzeuge (Bilder zum Anklicken). Das ist ja noch ganz hübsch anzusehen. Ist doch ganz faszinierend, wenn die Jagdstaffel so dicht über einem hinwegfegt, dass man glaubt, man brauchte nur die Hand auszustrecken, um sie zu berühren. Der Boden vibriert unter den Füßen und die Trommelfelle sind kurz vorm Platzen. Die Flieger schaffen es doch tatsächlich in der Luft die Zahl 65 zu bilden. Respekt!
Dann fahren die Panzer auf. Ich muss dran denken, dass ich morgens an einem Auto vorbei gegangen bin, auf dessen Seitenscheibe stand: "Danke Opa, dass du dein Leben 1941 dem Kampf gegen den Faschismus geopfert hast." Hinten drauf: "Nach Berlin!" Ich hoffe, das ist nicht wörtlich zu nehmen. Die Moskauer jedenfalls sind von dem Aufgebot "ihrer" Militärtechnik begeistert. Klar, wer würde nicht Hurra schreien, wenn eine Atombombe vorbeifährt? Alle brüllen "Sieg", schwenken Fähnchen, als hätten sie vor einer Stunde höchstpersönlich die sowjetische Flagge auf dem Reichstag gehisst. Die jungen Kerle, die da im Panzer sitzen, kennen den "Großen Vaterländischen Krieg" nur vom HörenSagen. Und mag sein, dass ein paar von den Panzern hochmodern sind. Der größte Teil der Fahrzeuge sieht allerdings aus, als ob er eine Generalüberholung dringend nötig hätte. Vor allem die Medizinwagen wirken so, als seien sie 1945 noch höchstselbst durch Berlin geholpert.
Bleiben noch die Veteranen. Schließlich ist es IHR Tag. Sie humpeln durch die Stadt und haben soviel Orden an der Brust, dass man Angst haben muss, sie fallen vor Altersschwäche und wegen der sommerlichen Hitze gleich vorn über. Gut, ihnen sei vergönnt, dass alle zehn Meter ein Kind oder ein Jugendlicher vorbeikommt, ihnen eine Nelke in die Hand drückt und "Danke" sagt. Das haben sowieso alle Omas und Opas öfter mal verdient. Also, die Veteranen können bleiben, die Atomraketen, die Panzer und das ganze "Uahhhhh" gehören abgeschafft.
Mischkala - 10. Mai, 18:51
Ist hier etwa mangelnder Paramilitarismus am Werk?
Tatsächlich