Ein Prosit!
Trinkfreudig sollen sie sein, die Russen. Wohl wahr, das sind sie. Trinkfest auch. Keine Einwände. Doch wehe dem, der unvorbereitet zum Gelage erscheint. Mindestens einen Satz sollte man in petto haben, der an Originalität, Witz und Charme ohne Probleme auch von Sir Peter Ustinov oder Erich Kästner stammen könnte. Schuld ist die russische Eigenart, jeden Schluck mit einem Trinkspruch zu veredeln. Beispiel: Eine fröhlich-steife Firmenfeier. Kaum ist der Schaum auf dem ersten Glas Bier zusammengeschmolzen, entpuppt sich der Kollege als Dichterfürst und die Kollegin als Schülerin Immanuel Kants. Alles natürlich ganz ohne jegliche Vorbereitung. Komisch nur, dass manch einer als Erinnerungsstütze ein Zettelchen aus der Hosentasche kramt. Da wird auf den bestirnten Himmel über uns und den tückischen Schlamm unter unseren Füßen getrunken. Auf Freunde, die heute nicht dabei sind, auf Freunde, die etwas später kommen und Freunde, die schon längst gegangen sind. Alles hübsch garniert mit großen Worten und kleinen Bonmots. Da wird aus dem Trinkspruch ruckzuck eine Trinkanekdote, eine Trinkerzählung. Altmeister Loriot könnte es nicht besser machen. Eine ganz schöne Herausforderung für jemanden, der bis vor kurzem noch dachte, an russischen Tresen werde zwar besonders häufig, dafür aber ziemlich monoton „Na zdorowje“ gerufen, dann aber erfahren musste, dass der Wunsch nach Gesundheit aber nun wirklich der Gipfel der Einfallslosigkeit ist. Ist man dann selbst an der Reihe mit dem Sprüchlein – aufgefordert wie einst in der Schule – kommen ungeübte Gemüter schnell ins Haspeln und flüchten sich in Allgemeinplätze. Das klingt dann keineswegs nach Ustinov, sondern eher nach einem bundesdeutschen Ministerialangestellten. Wie schön für die Russen. Die verbergen hinter ihrem nachsichtigen Lächeln die Erkenntnis, dass die Deutschen wohl ein ganz anständiges Bier zu brauen verstehen, von Trinkkultur aber keinen blassen Schimmer haben. Da gibt es wohl zwei Gegenmaßnahmen. Vor dem nächsten Fest einen ausführlichen Blick in das Online-Zitatelexikon werfen. Oder aber ein paar Stunden Geduld haben. Vielleicht steigt ja die Seelenverwandtschaft zu großen Dichtern proportional zum Alkoholgehalt im Blut. Je später der Abend, desto gewisser wird es: Für diese These spricht einiges.
Mischkala - 9. Mär, 16:05