Terror in der Metro - "Mama, mir geht´s gut!"

IMG_3233Die Fahrt in den Moskauer Untergrund ist lang. Fast zwei Minuten auf der Rolltreppe. Das ist viel Zeit, um die Gesichter der Entgegenkommenden zu studieren. Viel zu viel Zeit, um Antworten zu suchen, die zu immer neuen Fragen führen. Vor knapp einer Stunde ist hier, an der Moskauer Metro-Station Park Kulturi - nur ein Brückenschlag vom Gorki-Park entfernt – die zweite Bombe hochgegangen. Mindestens zwölf Menschen sind tot, getroffen von metallenen Bolzen und Schraubenmuttern. Die Zungen der wenigen Mitreisenden lösen sich wie von selbst. „Das ist wie ein Gesetz“, sagt die Nebenfrau. „Es passiert immer etwas Schlimmes, wenn es in Russland zu lange ruhig war.“ Ministerpräsident Wladimir Putin erklärt wenig später via Nachrichtenagenturen dem Terrorismus den Krieg. Die Schuldigen würden „gefangen und vernichtet.“ Da ist das Aufflackern der Panik in Russlands Hauptstadt schon längst vorbei. Gewichen einem lähmenden Entsetzen und Schicksalsergebenheit.

Die Millionenmetropole Moskau ist immer laut. Am Tag des Terrors, des Schocks, ist sie ohrenbetäubend. Sie kreischt auf, wie ein Lebewesen, das an seiner empfindlichsten Stelle getroffen wurde. Sirenen heulen, Generatoren brummen, schnarrende Lautsprecherdurchsagen verkünden neue Umleitungen, die Miliz verschafft sich mit schrillendem Pfeifen Gehör. Die Stimme der russischen Nachrichtensprecherin überschlägt sich beinahe, als sie versucht, über den Lärm hinweg die Menschen an den Fernsehern auf den neuesten Stand zu bringen. Die Moskauer sollen zu Hause bleiben, rät die Regierung, allenfalls solle man zur Blutspende gehen. Überall gilt die höchste Sicherheitsstufe. Polizisten regeln mit scharz-weißen Stöcken den Verkehr, die Flughäfen stehen unter Beobachtung, ein Teil der getroffenen Metrolinie ist gesperrt. Ziel des Anschlags waren die Stationen Lubjanka und Park Kulturi auf der roten Linie des ausgeklügelten Moskauer Metronetzes. Es ist die Hauptschlagader des Berufsverkehrs. Fixpunkt für die sechseinhalb Millionen Pendler, die täglich mit der Metro zur Arbeit fahren. Die Liste der Opfer, die das russische Katastrophenschutzministerium kurz nach Mittag auf seiner Homepage veröffentlicht, spricht Bände. Konstantin Trunin, Julia Afanasewa, Wladimir Senkowitsch und wie sie alle heißen – es sind meistens Männer und Frauen um die 40, die die Selbstmordattentäterinnen mit in den Tod gerissen haben.

Augenzeugenberichte: Die Nachrichten, das Internet, das Fernsehen, ganz Moskau ist voll davon. Sie erzählen von den letzten Sekunden, bevor die Selbstmordattentäterinnen – es sollen Frauen mit schwarzem
Haar gewesen sein, wahrscheinlich aus dem Kaukasus – die Bomben zündeten. „Irgendjemand schrie `raus` und dann knallte es schon“, berichtet ein junger Mann für die Internetzeitung „gazeta.ru“. Beide Male zündeten die Bomben mit einer Sprengkraft von mehreren Kilogramm TNT in dem Moment, als sich die Metrotüren an den Stationen zum Ein- und Ausstieg öffneten. Was danach folgte, können die, die dabei waren, nur in Bruchstücken wiedergeben: „Qualm, keine Sicht, Schreie, blutüberströmte Gesichter“. Die Verstörung verbreitet sich wie ein Virus über die Stadt, kriecht über die zehnspurigen Straßen, schleicht zwischen die glänzenden Fassaden des neuen Wolkenkratzer-Viertels „Moscow City“ bis in die Wohnzimmer. „Ich bin zu Hause, vollgepumpt mit Beruhigungsmitteln“, schreibt eine Angestellte in ihr Büro.

„Das haben sie selbst gemacht“, sagt Taxifahrer Ali. Mit „sie selbst“ meint er die Russen. Gerade lenkt er seinen Lada Kalina vorbei am abgesperrten Roten Platz. Menschenleer liegt er da, an den Metallgittern drängen sich die Touristentrauben mit gezückter Kamera – so gute Aussicht auf die Basiliuskathedrale hat man selten. Ali dreht einen Knopf am Armaturenbrett, das Autoradio springt von Nachrichten auf Russenpop, wie ihn schon Dima Bilan beim Eurovision Song Contest sang. „Wer wird’s schon gewesen sein?“, fragt Ali sich selbst in die abgasgetränkte Luft in seinem Auto. „Die Tschetschenen, die Dagestaner, irgendwelche Verrückten aus den russischen Republiken.“ Ali versucht erst gar nicht, den Schockierten zu spielen. Es hatte so kommen müssen. Seit vielen Monaten schon wechseln sich Nachrichten über Terrorakte im Kaukasus mit den Beteuerungen der russischen Regierung ab, man werde alles in den Griff bekommen. Keine Woche, in der nicht ein dagestanischer Polizist, ein Lokalpolitiker bei einer wüsten Schießerei auf den Straßen von Machatschkala ums Leben kommt. Nun hat der Terror Moskau und seine unterirdischen Paläste – die Metro-Stationen – erreicht. „Selbst schuld“, denkt sich Ali, geboren im Baku, Aserbaidschan, und sagt es dann auch laut. „Die Regierung muss endlich etwas gegen das Chaos im Süden unternehmen.“ Im Autoradio kommen jetzt doch schon wieder Nachrichten. Inmitten des Chaos haben die Moskauer Taxifahrer reagiert. Eine Fahrt kostet jetzt mal eben das Zehnfache – 3000 Rubel – ungefähr 75 Euro. Ali hat sich mit seinem Fahrgast für die Bummeltour durch den Stau auf 200 Rubel geeinigt – und verzieht nicht eine Miene.

Am heutigen Tag (Dienstag) soll ganz Russland den Opfern des Terroranschlages gedenken. So hat es die oberste Regierungsspitze beschlossen. Sie spricht von Vergeltungsmaßnahmen. Präsident Dmitrij Medwedew will die Sicherheit in der Metro erhöhen, sein Geheimnis bleibt, wie er Millionen Reisende bändigen will. Er verspricht Kompensationszahlungen für die Verletzten und die Hinterbliebenen der Getöteten. Gleich darauf tauchen die ersten Berichte auf, dass die Regierung auch schon 2004, nach den letzten Anschlägen auf die Metro, Geld versprochen, aber nicht gezahlt habe. Am Nachmittag hat sich die Nachrichtenlage in Moskau in einen Wirbel verwandelt, immer um sich selbst drehend und unkontrollierbar. Ruhe findet man gerade im Zentrum des Geschehens.

Vor der Metrostation Park Kultury steht Natascha, eine zierliche junge Frau mit schwarzem Pferdeschwanz. Der Raum um sie herum wirkt wie das ruhige Auge eines Orkans. „Sie werde nie wieder Metrofahren“, sagt sie so leise, das man sie kaum versteht. Ihr Bruder hat sich schon nach dem letzten Anschlag vor sechs Jahren ein eigenes Auto zugelegt. „Lieber stundenlang im Stau stehen, als dieser Terror“, sagt Natascha. Dann klingelt ihr Telefon. Natascha wendet sich ab: „Ja Mama, mir geht es gut!“

East Side Gallery

„Jeder russische Mensch fühlt, wenn er auf Moskau blickt, dass es seine Mutter ist“, sagte der Schriftsteller Lew Tolstoi. Er hat nicht verraten, was die Stadt für Besucher aus der Fremde bereit hält. Ich bin gespannt...

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Mischkala - 15. Mär, 08:52
Whoa...
... Respekt. Das wollte ich auch immer mal machen,...
KrishA (Gast) - 13. Mär, 18:19
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Mischkala - 22. Feb, 16:23
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Mischkala - 18. Feb, 13:54
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Mischkala - 16. Feb, 16:20

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