Samstag, 23. Oktober 2010

Wie ich einmal Wasser stahl

Eine Fabrik am Baikalsee. Der exakte Name wird hier mal lieber verschwiegen. Wer googeln kann, ist klar im Vorteil. Wichtiger ist sowieso die Geschichte dieses Werkes. Vor über 40 Jahren entdeckten russische Wissenschaftler, dass sich mithilfe des klasklaren Baikalwassers blütenweißes Papier herstellen lässt. Gesagt, getan. Es entstand eine Zellulosefabrik, die schon zum Zeitpunkt ihrer Inbetriebnahme nicht mehr auf dem neuesten Stand der Technik war. Schlimmer noch: Die Abwässer, die bei der Produktion entstanden, wurden in den größten Süßwassersee der Erde geleitet. Vier Jahrzehnte lang. Dann musste die Fabrik 2008 schließen, strengere Umweltauflagen hatten den Betrieb einfach unrentabel gemacht. Die Geschichte hätte glücklich enden können. Wenn es in Russland nicht einen Ministerpräsidenten namens Putin gäbe. Der entschied Anfang dieses Jahres: Das Ding wird wieder aufgemacht. In dem Städtchen rund um die Fabrik waren fast alle Menschen arbeitslos geworden, Putin trieb wohl die Sorge vor einer kleinen Meuterei. Proteste der Unesco und Umweltschützern rund um den Erdball nutzten nichts: Seit April wird am Baikal wieder Zellulose produziert.

Sprung in die Gegenwart: Anfang Oktober. Eine Gruppe Journalisten darf die streng abgeschirmten Werksräume der Zellstofffabrik betreten. Wochenlang war zuvor über diesen Besuch verhandelt worden. Am Ende mag den Ausschlag gegeben haben, dass sich auch die deutsche Generalkonsulin aus Nowosibirsk angkündigt hatte. Der wollte man nicht die Tür vor der Nase zuschlagen. Eine mitangereiste Mitarbeiterin einer lokalen Umweltschutzorganisation und ein Lokaljournalist werden allerdings vor dem Tor abgewiesen. Der Rest wird eingelassen. Die Regeln sind klar: Keine Fotos (Zum Glück gibt es Handykameras) und keine dummen Fragen.

Die Führung führt durch die Trocken- und Zuschneidehalle und zur Kläranlage. Die Hallen, in denen die Chemie angerührt wird, das Holz zerhäckselt wird, die Zellulose hergestellt wird sind Sperrgebiet. Die Gruppe wird gut bewacht. Drei Mitarbeiter gehen voraus, ein Herr im silber glänzenden Anzug folgt, bewacht alle mit Argusaugen und passt auf, dass niemand zurück bleibt. Auf Nachfrage gibt er sich als "Sicherheitsmann" aus.

Die Kläranlage ist Zentrum aller Diskussionenum das Werk. Kein Wunder. Auch sie ist 40 Jahre alt. Man sieht es ihr an. Selbst diejenigen, die schon öfter Kläranlagen gesehen haben, sind erschrocken. Geborstene Rohre, zerfressener Beton, wacklige Holzstege über den Wasserbecken. Ein unerträglicher Gestank von vergorenem Grünkohl liegt in der Luft. Tiefbraun kommt das Wasser aus der Fabrik. Es sprudelt, klatscht gegen die Betonwände, blubbert, erzeugt dicken Schaum, dessen jahrzehntelange Überreste sich als dicke Kruste auf den Rohren abgesetzt haben. Eine spricht aus, was alle denken: "Wenn sie uns das hier zeigen, was verschweigen sie uns dann." Wie sauber ist das Wasser wirklich, was in den Baikalsee geleitet wird? Die Antwort nach der Besichtigung: Es ist leicht gelblich, auf keinen Fall klar wie das gerühmte Baikalwasser. Die Bitte der Journalisten, eine Wasserprobe nehmen zu dürfen, wird abgeschlagen. Eine Idee entsteht: Dann machen wir es einfach heimlich.

Inspiriert vom A-Team wird der Plan entworfen. Ein Team lenkt die Mitarbeiter mit dummen Fragen ab. Ein anderes Team verwirrt den "Sicherheitsmann" mit Resten von der Kaffeetafel. Einen Windbeutel kann auch der strengste Russe nicht ohne Weiteres abschlagen. In Windeseile wird hinter dem Rücken der Mitarbeiter ein wenig Wasser in eine 0,5-Liter-Flasche abgefüllt. Deckel drauf, ab in die Jackentasche, unauffällig gucken.

Natürlich sind alle mächtig stolz auf den Coup. Bis die mitgereisten studierten Naturwissenschaftler erklären, dass jeder Analyselaborant die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, wenn er diese Probe in die Hand bekommt. Die Wasserentnahme entsprach keinen wissenschaftlichen Richtlinien und eine Plastikflasche ist nicht der geeignete Aufbewahrungsort für so eine Probe. Macht nix. Spaß gemacht hat es trotzdem! :)


PS: Der Direktor der Fabrik hatte übrigens bei eine zehnminütigen Audienz erklärt, das Wasser, das aus der Kläranlage kommt, sei so klar wie Mineralwasser. Man köne es sogar trinken. Klar wie Mineralwasser war es wie oben schon beschrieben nicht. Und als wir die Mitarbeiter an der Kläranlage versuchsweise fragten, ob wir denn mal probieren dürften, guckten die uns an, als ob wir gefragt hätten, ob wir uns einen Dolch ins Herz jagen dürften.

East Side Gallery

„Jeder russische Mensch fühlt, wenn er auf Moskau blickt, dass es seine Mutter ist“, sagte der Schriftsteller Lew Tolstoi. Er hat nicht verraten, was die Stadt für Besucher aus der Fremde bereit hält. Ich bin gespannt...

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Mischkala - 15. Mär, 08:52
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